Fake oder fabelhaft?

Am Wochenende war ich in dieser unglaublich prunkvollen Bibliothek aus dem 18. Jahrhundert. Ein Meisterwerk, ein Juwel, das als die gelungenste Raumschöpfung des Rokoko gilt. Die Klosterbibliothek in Wiblingen bei Ulm. Wirklich beeindruckend, dieses „Bücherregal“ mit einer von Säulen getragenen, rhythmisch geschwungenen Galerie. Echt wunderschön. Ich ging also staunend durch den Saal und an dieser Meisterleistung der Kunstgeschichte vorbei, staunend.

Und obwohl ich den Satz meiner Eltern immer noch im Kopf hatte, dass man mit den Augen und nicht mit den Händen schaut, habe ich meine Hand auf eine der Säulen gelegt. Und wie verwunderlich: Sie war gar nicht so kalt, wie ich es von Marmor kenne. Irritiert klopfe ich und staune noch mehr, denn sie klingt hohl! Au weia, das ist ja alles gar nicht echt, sondern tut so als ob!

Und tatsächlich beobachte ich, wie andere Besucherinnen und Besucher auch irritiert an den Säulen klopfen. Wir sind uns also stillschweigend einig: Hier ist alles Fake!

Fragen gehen mir durch den Kopf. Ob das Original zerstört und mit Attrappen restauriert wurde? Ob der Stifter des Klosters zu wenig Geld gespendet oder die Bauzeit verkürzt werden sollte? … Die freundliche Kunstführerin wusste Bescheid: Tatsächlich sind alle Säulen und alle Figuren hier aus Holz. Mit aufwändiger Technik und in feinster Arbeit wurden die Säulen aus Stuckmarmor in Wiblingen gebaut. Oh!

Sie erzählte weiter: Die Bibliothek liegt im zweiten Stock des Gebäudes, Marmor wäre viel zu schwer gewesen. Und die Technik des Stuckmarmors war eine hohe Kunst. Die Künstler zu beauftragen war zum Teil für den Auftraggeber sogar noch teurer als echten Marmor einzusetzen. Oh, das wusste ich nicht.
Ich lese dann nach: Stuckmarmor ist ein Imitat echten Marmors und wird von einem Stuckateur hergestellt. … In der Technik des Stuckmarmors wird auch intarsiert. Diese Technik nennt sich Scagliola.Stuckmarmor gab es schon in der Spätantike, jedoch fällt seine Blütezeit in den Barock. Die Herstellung von Stuckmarmor konnte teurer als echter Marmor werden. Dennoch bevorzugten manche Baumeister Stuckmarmor für ihre Projekte, da sich mit ihm Farb- und Musterspiele erzeugen lassen, die natürlicher Marmor nicht bietet (z. B. blauer Marmor mit ockergelben Äderungen). Zudem können beliebig große Marmorteile hergestellt werden. …

Mehr Wissen hilft gegen voreilige Vorannahmen

… Zu einem Zentrum dieses Kunsthandwerks entwickelte sich München. Viele Objekte schmücken die Münchner Residenz … Die Marmoristen und Stuckateure durften ihr Wissen nicht unerlaubt weitergeben. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam Stuckmarmor aus der Mode.“(aus Wikipedia/Stuckmarmor)

Manchmal muss etwas erst noch klargestellt werden

Aha! Jetzt bin ich – glaube ich – ein Stückchen schlauer und vergesse dieses Wissen hoffentlich nicht mehr. Wie falsch ich lag! Und wie schnell im Urteil, bei zu geringem Wissen. Hm… Erst mal fragen… dann urteilen. (Vielleicht urteilen – vielleicht auch nicht.)

In der Klosterbibliothek von Wiblingen handelt es sich jedenfalls nicht um Stümperei und Fake, sondern um fabelhafte Meisterschaft.
Und die Residenz in München werde ich mit neuen Augen sehen, da freue ich mich schon drauf. Wollen Sie auch hin? Hier die Öffnungszeiten, täglich  9-18 Uhr im Sommer und 10-17 Uhr im Winter.

Aber was ich nicht verstehe: Warum schreiben die Damen und Herren der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg das mit dem Stuckmarmor nicht explizit hin? Warum wird der Stuckmarmor nirgends, wirklich nirgends, erwähnt? Die „Berühren verboten“-Schilder verstehe ich jetzt übrigens, machen absolut Sinn (was ja bei „echtem Marmor“ nicht nachvollziehbar war). Was vorher den Gedanken aufkommen ließ, dass da etwas verborgen wird, ist nun vollkommen plausibel.  Hier handelt es sich nicht um einen Makel, sondern um ein Stück großer Kunstfertigkeit!
Fast als würde die Verwaltung diese Tatsache verstecken. Vielleicht fänden sie Säulen aus Marmor besser? 😉
Dabei ist es doch absolut bewundernswert, was dieses Gebäude verbirgt! Und alles ist seit dem 18. Jahrhundert komplett unzerstört geblieben, ist seit 1744 original.

 

Ich muss lachen: Vielleicht geht es den Damen und Herren der Schlösserverwaltung wie vielen meiner Kundinnen und Kunden, wenn sie einseitig auf ihre Schwächen blicken. Sie erkennen ihre Stärken gar nicht. Ein zweiter Blick und mehr Wissen lohnen sich immer! 😀

Und falls Sie sich für das Kloster Wiblingen interessieren, Kirche und Klosteranlage sind auch sehenswert. Und ein Storchennest mit klappernden Störchen gab es auch noch dazu.
Vielleicht möchten Sie auch noch wissen, wie der Stuckmarmor hergestellt wird? Hier fand ich Informatives.

Ach, so ist es nun mal!

Sind wir zu bequem

Mir fiel es gar nicht mehr auf, wie sehr ich mich an das Provisorium in meinem Bad gewöhnt hatte. Aber als die kleine Nachbarin neulich zu Besuch war, sprach sie mich an. Ob sie das schöne Bändelchen haben könnte, das da an meiner Waschmaschine hängt. Die Farbe gefalle ihr so gut, ein leuchtendes Rot.

Ich muss lachen. Nein, das Bändelchen hat seinen Zweck, einen wichtigen sogar.

Vor – ja, wie lange ist das her? – ich überlege… und fürchte, es ist schon sehr lange her. Vor einiger Zeit also, ist der Griff für das Öffnen der Klappe meiner Waschmaschine kaputt gegangen. Mit einem Trick hatten wir sie damals geöffnet, die Wäsche konnte also raus. Aber die Recherche für die Reparatur der Türverriegelung ergab, dass diese relativ teuer und aufwändig ist. Oje… darauf hatte ich ja wirklich keine Lust und auch gerade überhaupt keine Zeit dafür. Es war Sommer, der Urlaub stand vor der Tür und es gab viel Wichtigeres und Schöneres zu tun. Ein Provisiorium war schnell erdacht: Ein reißfestes Band um den Riegel, das konnte funktionieren.

Und es funktionierte, sehr gut sogar. Anfangs musste ich mich umstellen, darauf achten, dass das Band gut hängt, damit der Haken dann an der richtigen Stelle den Zug bekommt. Aber mit der Übung kam die Relaxtheit und dann die Gewohnheit. Ich habe mich einfach daran gewöhnt. Die Klappe der Waschmaschine mache ich inzwischen ganz routiniert mit diesem „Hilfswerkzeug“ auf. Aus Gewohnheit ist ein selbstverständlich geworden.

Gewohnheit und Anpassung liegen nah beieinander

Genau, es ist einfach selbstverständlich, dass meine Waschmaschine einen kaputten Riegel hat. Ich habe mich an die Situation angepasst.

Anpassungsfaehigkeit ist nicht nur eine Staerke

Wie finde ich das eigentlich, dass ein Provisorium selbstverständlich wird?
Das könnte man auch „Flexibilität“ nennen, die Fähigkeit, sich auf neue Gegebenheiten und Anforderungen einzustellen. Kreativ ist unsere Lösung vielleicht sogar. Gewissermaßen ziemlich cool. Aber ganz ehrlich? … Ich war einfach bequem und habe mich angepasst. Ganz nach dem Motto: So funktioniert meine Waschmaschine nun mal…

Das hier mit meiner Waschmaschine ist ja nur eine kleine schlechte Angewohnheit, aber auch in ihr steckt ja durchaus Bemerkenswertes: Wie schnell finden wir uns aus Bequemlichkeit, aus Gewohnheit mit „kompromissigen“ Lösungen ab!

Anpassungsfähig? Gelassen? Locker? Oder… einfach bequem! Wie oft scheuen wir einen Aufwand, weil wir zu bequem sind? Finden uns lieber mit einer schrägen Situation ab, bevor wir etwas tun? Hm…

Ich hab die Lösung! Ich schenke der kleinen Nachbarin einfach meine Kompromiss-Lösung, begebe mich zurück in die „Not-Situation“ und organisiere die Reparatur. Denn Anpassungsfähigkeit führt nicht zur Veränderung, sondern nur der Engpass: die Notwendigkeit, ins Handeln zu kommen.
OK, ich will wieder eine tadellose Waschmaschine haben!